Reisebericht Schweden 2

 

Reisebericht Schweden Kebnekaise

Vollbremsung über den Dächern von Schweden

Schroff, dunkel und kühl liegt das Gebirgsmassiv rund um den Kebnekaise vor uns und lädt an diesem wolkenverhangenen Tag so gar nicht zum fröhlichen Bergwandern ein. Aber es hilft ja nichts, mir und meiner Cousine, die mich beim Erklimmen des höchsten Berges in Schweden begleiten wird, bleiben nur drei Tage im Fjäll, dem nordischen Hochland an der schwedisch-norwegischen Grenze. Den ersten davon hat schon die Anreise per pedes vom 19 Kilometer entfernten samischen Dorf Nikkaluokta zur Fjällstation am Fuße der Bergkette vereinnahmt. Einen weiteren Tag wird der Rückweg beanspruchen. Also nichts wie raus aus dem von der Feuchtigkeit der Juni-Nacht klammen Zelt, Katzenwäsche am eiskalt vorbeirauschenden Gebirgsbach und rein in die Wanderschuhe.

Es ist noch früh, außer uns ist kein Mensch in Sicht, als wir unser Nachtlager verlassen und die wenige hundert Meter entfernte Fjällstation passieren. Von 700 Höhenmetern wird uns der zehn Kilometer lange Västra Leden (westlicher Weg) erst über Trampelpfade, später über Wüsten aus kleinerem und größerem Geröll bis zur 2104 Meter hohen Spitze des Kebnekaise führen. Der andere Weg, der sich dem Gipfel von Osten her nähert (Östra Leden), ist nur was für Profis, ohne Kletterausrüstung und einiges an Erfahrung nicht machbar. Für uns ist also klar, welchen Abzweig wir an der Weggabelung nehmen. Je nach Kondition und Wetterlage sind in unserem deutschen Reiseführer für den teils recht steilen Aufstieg fünf bis sieben Stunden veranschlagt, zurück geht es etwas schneller. Die Skandinavier scheinen da härter im Nehmen zu sein, denn im schwedischen Infoblatt wird der Västra Leden als familientauglich beschrieben. In der Tat treffen wir sehr viel später, fast oben angekommen, auf einen Vater mit seinen beiden Söhnen, vielleicht elf, zwölf Jahre alt, die strammen Schrittes und bestens ausgerüstet mit Trekkingstöcken an uns vorbeiziehen. Wir haben keine Trekkingstöcke, sind aber topmotiviert, die schneebedeckten Dächer von Schweden zu erobern und natürlich auch den Fotobeweis anzutreten.

Während wir den anfangs flachen, von Wiesen und Blumen gesäumten Weg entlang laufen, wird zunehmend klarer, dass Petrus sich heute auf unsere Seite schlagen wird. Die grauen Wolken werden heller und heller, bis sie irgendwann erste Lücken offenbaren und unsere morgendliche Befürchtung, von einem plötzlich anschwellenden Gebirgsbach unsanft ins Tal zurückbefördert zu werden, endgültig begraben. Wir haben Glück.

Schon nach wenigen hundert Höhenmetern ändert sich das äußere Erscheinungsbild des Bergmassivs grundlegend. In diesem kargen Gebiet liegt die Vegetationsgrenze bereits bei knapp über 1000 Metern. Vor uns liegt fortan nur noch Geröll, jeder Schritt will wohl überlegt sein, denn umknicken oder gar abrutschen möchte hier niemand. Kurz nach dem ersten steilen Anstieg wird es plötzlich mitten im Sommer weihnachtlich: In einer schneebedeckten Senke entdecken wir eine Rentierherde, die mit Engelsgeduld die weiße Pracht nach Nahrung durchwühlt und keinerlei Anstalten macht, von uns irgendwie Notiz zu nehmen, geschweige denn sich stören zu lassen.



Den nächsten steilen Abschnitt bezwungen, bietet sich ein grandioses Bild. Vor uns türmt sich eine schwarze Felswand auf, die gut und gerne 200 Meter in den Himmel ragt und an deren Oberkante aufgetürmte Schneewehen zu sehen sind. Die Wand wirkt bedrohlich, unnahbar und majestätisch zugleich. Immer noch sind keine anderen Wanderer in Sicht, mit denen wir diesen Anblick teilen müssen. Der suchende Blick nach der Wegmarkierung, die aus rot angesprühten Steinen besteht, verrät uns das, was wir gehofft hatten: Der Wanderweg führt schräg an der Seite dieses Vorgipfels hoch und ist weit weniger steil, als wir befürchtet hatten. Allerdings gilt es das erste Schneebrett zu durchqueren, unter dem es beunruhigend gluckert. Außer bis zur Hüfte in den Schnee einzubrechen und dabei nasse Füße zu bekommen, lauert allerdings keine wirkliche Gefahr. Schritt für Schritt tasten wir uns vorwärts, froh, dass die Schneemassen uns tragen. Die falunrote Fjällstation wirkt von hier oben wie ein Legohäuschen, mehr als die Hälfte der Höhenmeter ist geschafft. Gestern noch haben wir das weitläufige Tal am Fuße des Massivs durchquert und voller Ehrfurcht auf die 2000er geblickt, mit denen wir es aufnehmen wollten. Wir konnten uns kaum vorstellen, diese steinigen, unwirtlichen Berge hochzulaufen. Keinerlei Wege oder Anhaltspunkte waren von unten erkennbar. Jetzt sind wir mittendrin und merken: Man kommt hoch, auch wenn man wie wir nicht als Dauergast auf den Berghängen der Welt bezeichnet werden kann.

Dennoch, kraftraubend ist der Aufstieg allemal. Die vorletzte Etappe zum Vorgipfel Vieranvarre hat es in sich. Im Zickzack führt der Weg in steilem Winkel Richtung Spitze, Schritt für Schritt über grobe Steinkugeln, die hier und da nachgeben und für den ein oder anderen Ausrutscher sorgen. Ohne knöchelhohe Schuhe herrscht akute Bänderrissgefahr. Mir wird unwohl bei dem Gedanken, dass der Abstieg an dieser Stelle möglicherweise noch mehr Aufmerksamkeit erfordert als der Aufstieg, denn ein falscher Schritt könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen, die wohl erst mehrere Meter weiter unten recht unsanft enden würde. Jetzt geht der Blick aber erstmal weiter nach oben. Wir stapfen von einer Markierung zur nächsten, die Oberschenkel beginnen langsam zu brennen. Mehr als drei Stunden sind wir schon unterwegs, und der anstrengendste Teil der Wanderung liegt noch vor uns. Powerriegel, Nüsse und Wasser sorgen für die immer nötiger werdenden Energieschübe.

Reisebericht Schweden

Wir sehen den Gipfel des Kebnekaise vor uns liegen, und dennoch scheint er unerreichbar. Das Gebirgsmassiv hält nämlich eine kleine Gemeinheit für das wanderfreudige Volk bereit. Was wir auf der Karte schon gesehen hatten, offenbart sich in seiner ganzen Pracht, wenn man den 1700 Meter hohen Vieranvarre über die Vorderseite erklommen hat und über den flachen, breiten Bergrücken zur anderen Seite läuft. Dort geht der Weg durch eine Senke, die wider unseres Empfindens den heimeligen Namen Kaffeetal trägt, etwa 200 Höhenmeter abwärts, nur um dann an der Flanke des Kebnekaise wieder 600 Höhenmeter im Zickzackkurs hinauf auf den Gipfel zu führen. Das mag für manche eine Extramotivation sein, wir denken im Moment des Erblickens dieser Szenerie erstmal ans Pause machen und umkehren. Gut vier Stunden haben wir bis hierher gebraucht. Just in diesem Moment der Unentschlossenheit überholt uns der schwedische Vater mit seinen beiden Söhnen, und die drei steuern zielstrebigen Schrittes das Kaffeetal an. Nun gut, denken wir, wir wollten dort hoch, also bitte. Weiter geht's.

Auf dem Gipfel des Vieranvarre liegt eine geschlossene Schneedecke. Mehrmals sind wir schon bis zu den Knien eingebrochen. Die unter dem Schnee verborgenen, unförmigen Steine lassen erneut die Bänderriss-Alarmglocken klingeln. Jetzt wissen wir auch, warum die sportliche Familie mit Trekkingstöcken unterwegs ist. Während wir alle paar Schritte eine Vollbremsung hinlegen, in den tiefen Schnee einsinken und uns mangels geeigneter Abstützflächen nicht unbedingt elegant befreien können, sind die drei Schweden schon ohne Zwischenfälle in der Talsenke angekommen. Sie scheinen über den Hang zu schweben. Beim Bergablaufen merken wir, dass der Schnee immer tiefer und die Steine immer unberechenbarer werden. Für zehn Meter brauchen wir zwei Minuten. So kann es nicht weitergehen, schließlich liegt noch ein langer Weg vor uns, und wir müssen ja auch noch zurück zum Zelt. Dunkelheit ist um Mittsommer herum nördlich des Polarkreises zwar nicht zu befürchten, aber Kälte und Kräfteschwund sind auch Aussichten, die uns nicht gerade motivieren weiterzugehen. Es hat keinen Sinn. Wir sind nicht richtig ausgerüstet, um die letzte Etappe vernünftig zurücklegen zu können. Im Juni liegt dort oben einfach noch zu viel Schnee. Die beste Wanderzeit ist Ende Juli, Anfang August, wenn die Schneegrenze auf über 1800 Meter steigt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als umzukehren.

Eine gute halbe Stunde halten wir uns noch auf dem Gipfel des Vieranvarre auf. Zum einen, um wenigstens unseren Teilerfolg auszukosten, rund 1000 Höhenmeter über steinige Hänge hinter uns gebracht zu haben. Zum anderen des grandiosen Ausblicks wegen. Vom Kebnekaise aus kann man bei gutem Wetter ein Zehntel des schwedischen Staatsgebietes und einen Teil Norwegens sehen. Letzteres ist von unserem Posten aus ebenfalls möglich. Wir stehen auf dem Kamm der Bergkette und können auf der anderen Seite Norwegen sehen. Wohin wir auch blicken, sind die Gipfel schneebedeckt und die Berghänge dunkelgrau und schroff. Die Sonne, die immer wieder durch die Wolken bricht, legt ein mystisch wirkendes Licht wie einen Schleier behutsam über die Kuppen. Der Aufstieg hat sich gelohnt, auch wenn das eigentliche Ziel so nah und doch so fern ist. Fotos vom Kebnekaise-Gipfel gibt es trotzdem, und nach einem letzten Powerriegel geht es abwärts Richtung Zelt. Durch den Schnee, der uns ausgebremst hat. Mit nassen Hosen vom ständigen Einsinken. Immerhin bleiben die Schuhe von innen trocken. Und um die Bänderdehnung kommen wir auch herum.

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